Fotografieren ohne doppelten Boden

Die zweiäugige Kamera meines Vaters lag nun schon viele Jahre im Schrank. Zum Einsatz kam sie dreissig bis vierzig Jahre nicht mehr. Die letzten Fotoexperimente mit ihr habe ich wohl als Teenager bei meinen ersten fotografischen Gehversuchen unternommen.

Vor zwei Monaten ist mir die Rolleicord beim Aufräumen unverhofft wieder in die Hände gekommen: Was machen wir denn mit dir? schoss es mir durch den Kopf. Weggeben kam nicht in Frage. Zuviele Erinnerungen an Ferien, Familienanlässe und -wanderungen. 

Ob sie wohl noch funktioniert? Eigentlich ist das ja relativ einfach, keine Elektronik, keine Batterien, kein Kunststoff oder Gummi, der sich auflöst. Aber trotzdem, nach all den Jahren…

Fasziniert hat mich dabei immer die unkonventionelle Art mit dem oben angebrachten Sucherschacht.

Der Entschluss war schnell gefällt: Mit ein paar Testfilmen schauen, ob und was noch geht mit dieser etwas klobigen Kiste. Fasziniert hat mich dabei immer die unkonventionelle Art mit dem oben angebrachten Sucherschacht. Man hat die Kamera auf Bauchhöhe und schaut von oben herab, was die beiden Augen vorne sehen. Immer seitenverkehrt, was beim Schwenken zu Beginn sehr gewöhnungsbedürftig ist. Aber genau diese andere Haltung des Fotografierens ergibt wohl die speziellen Perspektiven. Keine Fotos auf Augenhöhe sondern auf Bauchhöhe. Sehr ungewohnt. Und sehr beliebt bei den Fotografen der 40er bis 60er Jahre. Robert Capa, Robert Doisneau, Vivian Maier, Willy Ronis, Diane Arbus, Gordon Parks, …

Filme sind im guten Fachgeschäft nach wie vor erhältlich. Für einen Test nehme ich ein paar günstigere Schwarzweiss-Filme. Das passt sowieso besser. Was fotografiert man, wenn man nicht weiss, ob die Bilder überhaupt brauchbar sind?  

Das Fotografieren mit dieser Kamera braucht Zeit.

Ich nehme sie vorerst mal bei meinen Fotoausflügen mit und mache zusätzlich zu meiner digitalen Hauptkamera ein paar Bilder mit ihr. Der Film ist schnell voll. Auf einem Film haben genau 12 Fotos Platz. Quadratisch, 6×6. Da überlegt man sich sehr gut, was genau man fotografieren will. Die Schärfe muss manuell festgelegt werden, ebenso die die Belichtungszeit. Das erste braucht ein gutes Auge und für das zweite behelfe ich mich vorerst mal mit meinem Mobiltelefon. Der Belichtungsmesser, den mein Vater immer verwendet hat, existiert nicht mehr. Das Fotografieren mit dieser Kamera braucht Zeit. Je mehr ich mit arbeite, umso mehr Hochachtung kriege ich vor all diesen Fotografen, welche zu ihrer Zeit damit intuitiv und schnell flüchtige Szenen in den Grossstädten festgehalten haben.

Nun sind die Negative eingetroffen. Für die Beurteilung möchte ich sie trotzdem digital haben, um Korrekturen vornehmen zu können und damit meine fehlende Erfahrung mit dieser Kamera zu kompensieren.

Trotz all den Unzulänglichkeiten zeige ich euch hier 4 dieser Bilder, um einen visuellen Eindruck vom Charakter dieser Kamera vermitteln:

 

 

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